König Jamie kehrt zurück

Vor vier Jahren war seine italienische Restaurantkette insolvent – nun meldet sich Jamie Oliver zurück und ist auf Expansionskurs. Ein neues Kochbuch, weitere Lokale in London und ein erstes Restaurant in Berlin sollen beweisen: Der britische TV-Koch kann auch mit 48 Jahren noch ein globales Publikum begeistern. Ein Besuch im Hauptquartier des „Naked Chef“.

Das Hauptquartier der Jamie Oliver Group verbirgt sich in einem Studio im Norden von London. Kein Schild, kein Logo verrät von aussen, dass hier der bekannteste TV-Koch der Welt residiert und über ein globales Food- und Gastro-Imperium herrscht. Erst im Innenhof des Backsteinbaus steigt der Duft von Gebratenem in die Nase – in einer Grossküche bereiten Köche ­Pasta, Hühnchen und gegrilltes Gemüse vor, das Mittagessen für die Belegschaft.

Jamie Oliver wird wohl kaum Zeit für den Lunch haben. Er hat heute Medientag, er empfängt in seinem Reich Foodblogger und Journalisten, um sein neues Kochbuch vor­­­zu­stellen – und seine ehrgeizigen Expansionspläne. Jamie Oliver, 48 Jahre alt, ist der Herrscher über eine globale Marke, die seit den 90er-Jahren kaum an Popularität eingebüsst hat.

In London beschäftigt er 140 Mitarbeiter, die seine Plattformen mit Content füllen, die seine Magazine und Bücher gestalten, seine TV-Sendungen und Onlineclips produzieren, Pfannen und Töpfe mit Jamie-Oliver-Siegel launchen, Rechte verhandeln, Investitionen managen – kurz: die Brand Jamie Oliver noch mächtiger und profitabler machen.

Dem „Naked Chef“ (so der Titel von Olivers Kult-TV-Sendung) folgen fast 20 Millionen Fans auf Facebook und Instagram, dazu rund sechs Millionen auf X und Youtube; auf Tiktok wird er auch bald die Millionenmarke knacken. Seine 25 Kochbücher haben sich fast 50 Millionen Mal verkauft und wurden in 36 Sprachen übersetzt. Jamie Oliver ist damit der erfolgreichste Non-Fiction-Autor Grossbritanniens aller Zeiten – und seine 70 Restaurants besuchten im vergangenen Jahr weltweit 35 Millionen Menschen.

Es sind beeindruckende Zahlen, dabei ist Jamie Oliver gerade dabei, sich von der „härtesten Zeit seines Lebens“ zu erholen: Vor vier Jahren war seine Restaurantkette Jamie’s Italian insolvent, hatte 85 Mio. £ an Schulden angehäuft; Tausende Jobs gingen verloren und der Unternehmer fürchtete um sein Lebenswerk. Nun schlägt das Jamie-Oliver-Imperium zurück: Es wird wieder Profit gemacht und expandiert. Im Dezember will der TV-Koch erstmals in Deutschland ein Restaurant eröffnen, in Berlin-Mitte.

Woher nimmt er seinen Ehrgeiz und seine Energie? Und wie hat er es geschafft, seine Marke seit mehr als 20 Jahren relevant zu halten?

Auch mit fast fünfzig strahlt er diese rastlose und euphorische Gute-Laune-Energie aus, mit der er seine Kochshows würzt und seit 1998 ein wachsendes Publikum begeistert. Gerade wegen der Insolvenz will Oliver offenbar beweisen, dass er es noch kann: „Es ist meine zweite und vielleicht auch meine letzte Chance im Restaurantgeschäft“, sagt Oliver. Und: „Ich stamme aus der Welt der Pubs, hier liegen meine Wurzeln.“

Im vergangenen Jahr eröffnete er 13 neue Lokale weltweit. In Covent Garden, mitten im Herzen des hart umkämpften Londoner Gastro-Markts, bietet er mit dem Lokal „Jamie Oliver Catherine St“ klassisches britisches Wohlfühl­futter an, darunter Roast Chicken, Scotch Eggs, Scampi und Steak. „In keiner anderen Branche ist ein Pfund so hart verdient“, sagt Oliver.

Im Jahr 2022 hat seine Restaurantsparte einen Vorsteuergewinn von 7,7 Mio. £ aus­­­ge­wiesen, der Umsatz stieg um 8,1 % auf 29,7 Mio. £. Jamie Oliver und seine Frau Jools zahlten sich eine Rekorddividende von sieben Mio. £ aus, die allerdings seinem lukrativen Publishing-Geschäft zu verdanken ist. Das Vermögen des Oliver-Clans wird auf 200 Mio. £ geschätzt.

Olivers neues Buch „5 Zutaten mediterran“ richtet sich an den modernen Familienkoch, an Eltern, die auf die Schnelle mit wenig Zeit und Zutaten ein Essen auf den Tisch stellen müssen. Oliver hat sein Team ermitteln lassen: Die Mehrzahl hat heute im Schnitt nur noch etwas mehr als 20 Minuten Zeit, um zu kochen – vor ein paar Jahren verbrachte man noch knapp eine Stunde am Herd. Gehe der Trend so weiter, dann sei das Kochen zu Hause vom Aussterben bedroht, weil es von Fast Food, Tiefkühlkost und Take-aways verdrängt werde, fürchtet Oliver. Er hat es deshalb auch zu seiner Mission gemacht, das Herdfeuer des gemeinsamen Mahls am Brennen zu halten: „Der Kern meines Geschäfts ist: Ich will dafür sorgen, dass Menschen selbst kochen und damit auch gesünder essen.“

Die Zahlen der Verlagsbranche klingen weniger alarmistisch als Olivers Befürchtungen. Schon vor der Pandemie hatte der Kochbuchmarkt stark zugelegt. Durch die Coronakrise, die Lockdowns und das noch immer verbreitete Arbeiten im Homeoffice stieg der Absatz. Längst kommen Kochbücher als Kunstwerke und Sammlerstücke daher, die dank opulenter Auf­machung und smartem Storytelling nicht nur auf den Gaumen, sondern auch auf die Gefühlswelt des Lesers abzielen. Allerdings können nur globale Marken wie Jamie Oliver oder nationale Stars mit grosser TV-Präsenz wie Tim Mälzer hohe Profite mit ihren Publikationen verdienen.

Ich will dafür sorgen, dass Menschen selbst kochen und damit auch gesünder essen.

Jamie Oliver

Für Jamie Oliver haben seine Kochbücher, die Festtage wie Weihnachten oder Reise- und Fernwehthemen wie die Kochkulturen Gross­britanniens oder Italiens behandeln, zur Stärkung seiner ohnehin robusten Marke beigetragen. „Gerade mein Erfolg in Deutschland ist vor allem den Büchern zu verdanken“, sagt Oliver. Aber nicht nur: Dass er im Hauptberuf ein kochender TV-Star ist, zeigt schon die Einrichtung seines Büros. Im Vorzimmer steht ein leuchtender Spiegel, hier hat er eine professionelle Maske eingerichtet, eine Visagistin ist stets zu Diensten. Mit Puder und Porridge, seinem Lieblings­frühstück, beginnen die meisten Arbeitstage.

Zu seinen grössten unternehmerischen Leistungen zählt zweifellos, dass Oliver mit seiner Marke seit den 90er-Jahren den Geschmack eines Mainstreampublikums trifft. Aus seiner Aufstiegsgeschichte speist sich bis heute sein Ehrgeiz: Mit acht Jahren half er für ein paar Pennys an Taschengeld im Cricketers aus, dem Pub seiner Eltern in Clavering in der Grafschaft Essex, nördlich von London. In der Schule wurde er wegen seiner Legasthenie verspottet; bis heute fallen ihm Lesen und Schreiben schwer, die Texte und Rezepte seiner frühen Bücher sprach er auf ein Diktiergerät und liess sie transkribieren.

In der Schule tat er sich schwer, doch in der Küche war er flink und schnippelte im Pub der Eltern das Gemüse bald schneller als die er­fahrensten Köche. Als Teenager heuerte er im angesagten Londoner Neal-Street-Restaurant des Italieners Gennaro Contaldo an, zur selben Zeit wie sein Freund Tim Mälzer. Später bekam Oliver einen Job im River Café, bis heute eine Insti­tution in der Londoner Gastrowelt. Als 1997 ein BBC-Team in der Küche eine Dokumentation filmte, wurden die TV-Qualitäten des jungen Souschefs entdeckt. Es folgte die BBC-Kult­sendung „The Naked Chef“, die von 1999 bis 2001 produziert wurde und einen Hype um Oliver und Koch­sendungen generell auslöste.

Es war die Ära von Cool Britannia: Britart verzauberte die Kunstwelt, die Britpopper von Oasis und Blur stürmten die Charts und David Beckham begann den Aufstieg vom Fussballstar zur globalen Modeikone. Der Hype um die Exporte der britischen Kulturnation rückte auch den TV-Koch ins globale Rampenlicht.

Seinen Ruhm setzte Oliver früh für soziale und gesellschaftliche Belange ein, etwa mit seiner Serie „School Dinners“. Sein Engagement für gesünderes Schulessen und der Kampf gegen Übergewicht wurde zu einem Markenzeichen und macht bis heute seine Mission aus.

Sein Kampf gegen Junkfood in der Kinderernährung brachte ihm Heldenstatus und Ein­ladungen in die Downing Street. Er überzeugte den damaligen Premier Tony Blair (und spätere Politiker), mehr in hochwertigeres Schulessen zu investieren. Als cleverer Marketingstratege nutzte Oliver natürlich auch den Widerstand einiger Eltern gegen seine Kampagne, um das Medieninteresse an der Story und seiner Sendung zu befeuern: Mütter aus Yorkshire steckten ihren Kindern Chips, Burger und Pommes durch das Schultor, weil sie mit Olivers „Hasenfutter“ in der Schulkantine nicht einverstanden waren. Der Schlagabtausch zwischen dem Aktivisten und den berüchtigten „Yorkshire Mums“ machte noch Jahre später Schlagzeilen.

Auch nutzte Oliver seine Reichweite, um Tierwohl und Haltebedingungen von ­Legehennen zu verbessern. Über Nacht, betont er, quasi mit einer einzigen Fernsehsendung zum Thema Eier, habe er ein Verbot grausamer Formen der Käfig­haltung und Legebatterien in Grossbritannien be­wirkt, bevor der Rest Europas nachzog.

Während des Kollapses von Jamie’s Italian kaufte Oliver das historische Herrenhaus Spains Hall im Wert von sechs Mio. £. Das kam bei seinen Kritikern nicht gut an, doch Oliver verteidigte den Kauf: Hier habe er mit Ehefrau Jools und den fünf Kindern, zwischen sechs und 21 Jahre alt, Privatsphäre. Und er sieht in dem Kauf auch den hart verdienten Lohn seines Aufstiegs: Ein Kind, das von weit unten kam, das in der Schule gemobbt wurde und das heute als Multimillionär ein 600 Jahre altes Prachtanwesen bewohnen kann – das sei soziale Mobilität. Dass Olivers Sohn Buddy mit nur zwölf Jahren schon seine eigene Youtube-Kochshow filmt, kam auch nicht überall gut an. Oliver sagt: Buddy helfe, andere Kinder fürs Kochen zu begeistern, das sei doch „eine feine Sache“.

Im Zentrum des Jamie-Oliver-Haupt­quartiers findet man eine Tafel, auf der die Ziele seines Aktivismus notiert sind. Unter der Überschrift „Umgesetzte Richtlinien“ stehen Massnahmen, die er durch seine langjährige Lobbyarbeit realisieren konnte, etwa die Kalorienkennzeichnung von Menüs und Essen in Restaurants oder die ernährungswissenschaftliche Ausbildung von Medizinstudenten und Pflegepersonal. Noch nicht gelungen ist eine Massnahme zur Reduzierung von Zucker und Kalorien in vielen Lebensmitteln. Auch das Verbot von Fast-Food-Werbung, die sich an Kinder richtet, fordert Oliver schon lange – noch ist es aber nicht umgesetzt.

Der Star sieht sich als kochender Aktivist. Dass er mit seinem Ruhm Gutes bewirken will, daran besteht kein Zweifel. Doch Umwelt- und Tierschützer werfen ihm mitunter Heuchelei vor – etwa, weil er mit dem Energieriesen Shell zusammenarbeitet, in dessen Tankstellen die Jamie-Oliver-Delis Auto- und Lkw-Fahrer mit gesunden Snacks versorgen. Seine Zusammen­arbeit mit dem Supermarktriesen Sainsbury’s wurde ebenfalls kritisiert, da manche Produkte des Konzerns nicht den Standards für Tierwohl entsprachen. Als Sainsbury’s nachbesserte, verbuchte Oliver das als sein Verdienst; in­zwischen ist die Partnerschaft beendet.

Beim Abschied begleitet mich der Unternehmer zum Ausgang. Als wir den Olivenbaum im Hof seiner Firmenzentrale passieren, erzählt er von seinem Sommerurlaub in Portugal. Dort mietete er sich mit der Familie eine Villa. Grillen, Essen gehen, im Pool planschen – dafür hätte er gerne mehr Zeit.

Noch immer bewundern Mitarbeiter Jamie Olivers Arbeitsethos. Er ist fast immer der Erste im Büro in London – und der Letzte, der geht. Auch das ist eine Lektion, die er früh im Pub seiner Eltern in Essex gelernt hat: Erfolg ist immer das Resultat harter Arbeit. Eigentlich habe er sich mehr Freizeit nehmen wollen, sagt er, doch durch die Eröffnung neuer Restaurants sei er wieder bei einer 80-Stunden-Woche angelangt; dabei habe er eigentlich auf 50 Stunden reduzieren wollen. Beklagen will er sich darüber aber nicht – sein typisches Jamie-Oliver-Lächeln blitzt wieder auf, dann sagt er: „Ich liebe einfach sehr, was ich tue!“

Fotos: Chris Terry, Edwige Lamy, Konstantinos Sofikitis
Infografik: Emin Hamdi

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.